Europa führt in Sachen Industrie 4.0, USA abgeschlagen
Die kürzlich veröffentlichte Studie der Bain & Company zur Entwicklung des industriellen Internet of Things (Industrie 4.0) bescheinigt dem europäischen Markt eine (überraschende) Vorreiterrolle im IoT.
Mehr Pilotprojekte, höhere Investitionen: Europa habe seine weltweite Vorreiterrolle im Internet der Dinge (IoT) weiter ausgebaut. So sollen die hier ansässigen Unternehmen ihre Vorhaben rund um Industrie 4.0 schon seit 2016 dreimal so schnell voran getrieben und ausgebaut haben, wie ihre Wettbewerber aus den USA.
Europa in der Pole Position
Nachfolgend einige Erkenntnisse aus der aktuellen Studie „Europeans Extend Their Lead in the Industrial Internet of Things“, für die Bain & Company mehr als 600 IoT-Verantwortliche in Europa und den USA befragt hat:
[Bain & Company ist eine international agierende Strategieberatung mit rund 8.000 Mitarbeitern. Das Unternehmen unterhält 56 Büros in 36 Ländern und operiert industrie- und länderübergreifend.[1] Sie berät bei Entscheidungen zu Strategie, Marketing, Organisation, Unternehmensrestrukturierung, Performance-Verbesserung, Ergebniserbringung, Informationstechnologie sowie M&A. Insbesondere im außerbörslichen Bereich des Finanzsektors („Private Equity“) hat Bain & Co. nach eigener Aussage eine überragende Marktstellung. – Quelle: Wikipedia]
Der Studie folgend, wollen in beiden Regionen jeweils knapp die Hälfte der Studienteilnehmer neue IoT-Projekte umsetzen. Allerdings hätten die europäischen Unternehmen “schon deutlich mehr Erfahrung mit IoT-Technologien“ und somit „einen echten Wettbewerbsvorteil“ – sagt Christopher Schorling (Bain & Company)
„Die Europäer wissen schon heute, wie sie IoT-Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette gewinnbringend einsetzen können.“
In einer ersten Studie zu diesem Thema im Jahr 2016 hatten 27 Prozent der europäischen und 18 Prozent der US-amerikanischen befragten Unternehmen die Einführung neuer IoT-Anwendungen angekündigt. Seinerzeit planten die Europäer außerdem, einen höheren Anteil ihrer IT-Budgets in diese neuen Technologien zu investieren. Insbesondere Automobilhersteller sowie Bau- und Industrieunternehmen setzten schon damals auf zahlreiche umfangreiche Pilotprojekte.
Diese frühzeitigen Anstrengungen scheinen sich nun auszuzahlen. Zwar zeigt die aktuelle Studie, dass auch europäische Unternehmen bei der Einführung von IoT-Technologien und dem Eintritt in die Industrie 4.0 weiterhin große Herausforderungen zu bewältigen haben – doch viele US-Firmen kämpfen heute noch mit Kinderkrankheiten, die die Europäer bereits teilweise hinter sich gelassen haben.
Dazu gehören neben mangelnder technischer Expertise auch Probleme bei der Integration der IoT Technik und dem Zusammenspiel unterschiedlicher Systeme und Plattformen.
Solche Anlaufschwierigkeiten nennen die US-Amerikaner in der aktuellen Studie sogar noch häufiger als vor zwei Jahren. Sie verhindern offenbar, dass IoT-Technologien zügig ins Tagesgeschäft integriert werden können. So planen die befragten US-Unternehmen bis 2022 hauptsächlich Pilotprojekte. Derzeit hat etwa die Hälfte zumindest dieses erste Stadium der Umsetzung von Industrie 4.0 erreicht. Bis 2022 sollen es rund 70 Prozent sein.
Dagegen arbeiten die Europäer mittlerweile bereits an Geschäftsmodellen, die ihre Investitionen refinanzieren, sowie an regulatorischen Aspekten und Sicherheitsfragen. Ihre Vorreiterrolle manifestiert sich auch in den Investitionsplänen. In den kommenden zwei Jahren wollen europäische Unternehmen mehr als doppelt so viele großangelegte IoT-Projekte realisiert haben wie ihre US-Konkurrenten.
Sorgenkind I(oT)T Sicherheit
Die größte Hürde für die Einführung von Industrie 4.0 scheint für die Befragten aus beiden Regionen die Sicherheit der Anwendungen. Gut die Hälfte der Europäer sieht darin ein zentrales Problem – bei den US-Amerikanern ist es knapp ein Drittel.
„Die europäischen Anbieter von IoT-Lösungen haben große Chancen, die Führung im Bereich Cybersecurity zu übernehmen. Schließlich sind sie gezwungen, ihre in Sicherheitsfragen höchst anspruchsvollen heimischen Kunden zufriedenzustellen.“ – Christopher Schorling (Bain & Company).
Gelänge es ihnen zusätzlich, die zuweilen komplexen Datenschutz- und Regulierungsanforderungen der EU zu meistern, könnten sie sich einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz aus den USA und Asien erarbeiten.
Auf ihrer Führungsposition ausruhen sollten sich die Europäer allerdings nicht. Die Pläne der US-Unternehmen sind extrem ambitioniert. In den kommenden zehn Jahren wollen sie sowohl bei Pilotprojekten, als auch bei unternehmenskritischen Implementierungen mit den Europäern gleichgezogen haben.
Um ihren Vorsprung zu halten, sollten sich die europäischen IoT-Anbieter zunächst auf bestimmte Branchen fokussieren. In diesen ausgewählten Segmenten könnten sie herausragende Expertise entwickeln und so überzeugende Komplettsysteme offerieren. Überdies gälte es für die IT-Firmen, eng mit ihren Kunden zu kooperieren, um deren spezifische Anforderungen systematisch in Software umzusetzen, die sich auch nahtlos in die industriellen Prozesse integrieren lässt.
„In den nächsten zwei, drei Jahren werden sich die Gewinner beim Thema Internet der Dinge herauskristallisieren. Unternehmen, die ihre IoT-Investitionen auf die lange Bank schieben, verlieren an Wettbewerbsfähigkeit. Wer dagegen seine Maschinen, Anlagen und Produkte vernetzt und die daraus resultierenden Daten verwertet, zählt zu den Profiteuren in einer Welt weitreichender Automatisierung und künstlicher Intelligenz.“ – Oliver Straehle, (Bain & Company)
Die vollständige Studie finden Sie bei Interesse hier.