Prime Energy: Strom vom Versandhandelsriesen?
Anfang 2018 unternahm Amazon den Vorstoß in den Medizinbereich, tat sich mit JPMorgan und Berkshire Hathaway zusammen, um ein gemeinsames Versorgungssystem für deren Angestellte aufzubauen. Passend dazu akquirierte Jeff Bezos‘ Amazon auch gleich „Pill Pack“ – einen Online-Medikamenten-Dienst. Könnte die Energieversorgung ein weiteres zukünftiges Geschäftsfeld des Versandhandelsriesen werden?
Auf LinkedIn, dem US-amerikanischen Pendant zu Xing, wurde kürzlich ein spannendes Gedankenspiel veröffentlicht, das sich mit der Frage beschäftigt, ob Amazon zukünftig auch im Bereich der Energieversorgung von Privatkunden tätig werden könnte.
Prime Energy?
Der Verfasser postuliert zutreffend, dass sich den derzeitigen Versorgern mit einem höheren Aufwand an Datenanalyse, Kundenverständnis und dem Einsatz neuerer Technologien wie KI viele – bislang unausgeschöpfte – Potentiale böten; weist gleichzeitig aber auch darauf hin, wie viel umfassender und effizienter Amazon solche vorhandenen Kundendaten derzeit bereits nutzt, um beispielsweise personalisierte Angebote, Rabatte etc. zu offerieren.
Über einen durchschnittlichen, langjährigen Kunden weiß man bei Amazon vieles; welche Geräte besitzt und nutzt er; wie nutzt er sie; welche Mengen an Verbrauchsstoffen/Gütern setzt er ein.
Verwendet dieser Beispielkunde auch einen der digitalen Alexa-Assistenten, so verfügt Amazon (vermutlich) auch über entsprechende Datensätze zum Tagesablauf des Kunden: Wann steht er auf, wann verlässt er das Haus und wann kehrt er wieder heim?! Wie häufig sieht er fern; wie oft und lange hört er Musik?
Derartige Daten ermöglichen nicht nur zuverlässige Bedarfsanalysen und Verbrauchsprognosen, mit denen sich die Wertschöpfung nicht nur durch Einkaufs- und Weiterverkaufskontingente und Preisgestaltung optimieren ließe. Ebenso könnten vorteilhaftere Preise an die End-Kunden weitergegeben – und in der Folge Neukunden gewonnen werden.
Schleppende Digitalisierung der Energie- und Wohnungsbranche
Bei alteingesessenen Energieversorgern, Immobilien- & Wohnungsunternehmen zieht sich die notwendige digitale Transformation derweil weiter dahin, um deren ebenfalls nicht ganz unbeträchtliche Datenbasis verfüg- und nutzbar zu machen. Aktuellen Erkenntnissen aus der Umfrage des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) folgend, fehlt es den meisten Unternehmen immer noch sogar an den Grundlagen zur Teilnahme an der digitalen Wohnungswirtschaft. Zögerliche bzw. unterlassene Investitionen, Zeitmangel und fehlendes Personal bremsen die Entwicklung weiter aus, denn 70 Prozent der Verwalter und Bestandshalter sowie 56 Prozent der Bauträger und Projektentwickler glauben laut BFW nicht daran, dass sich durch die Digitalisierung neue Geschäftsfelder böten.
Amazon ist in dieser Hinsicht alles andere als konservativ; könnte die vorhandenen Daten für Prime Energy bereits nutzen – und wird sich nicht scheuen, weitere Daten zu erheben. Der Einschätzung Tobias Hirning nach könnte Amazon sich innerhalb der nächsten 4 Jahre bereits an ersten Gehversuchen auf dem Strom-Markt versuchen.
„Die Hürde Strom an einen Kunden zu verkaufen, ist sehr gering, denn als klassischer Retailer benötigt man weder ein Kraftwerk noch die Netzinfrastruktur. Um an den Markt zu gehen, benötigt man für die Abwicklung kaum mehr als eine IT-Plattform und natürlich den Zugang zum Kunden – das zugehörige Know-how und Marktverständnis natürlich immer vorausgesetzt.“ – Tobias Hirning auf LinkedIn.
Tatsächlich scheint es fast wünschenswert, würde Amazon sich möglichst bald auf dem behäbigen Markt der Energieversorger engagieren. Jeff Bezos‘ Amazon verfügt nicht nur über die notwendige Vertriebsinfrastruktur, auch scheinen individualisierte und am Kundenbedarf orientierte Angebote zunächst durchaus verlockend; ein Online bestelltes Bundle aus Waschpulver inklusive des notwendigen Stroms zur Durchführung des Waschgangs – wer käme da nicht in Versuchung?
Ein Prime Energy Vorstoß von Amazon könnte dazu beitragen, die alteingesessen Versorger unter Zugzwang zu setzen, nun endlich für mehr Flexibilität, Transparenz und bessere Kundenkommunikation zu sorgen.
„Es ist nicht zu spät sich zu amazonisieren – die Servicequalität zu verbessern und damit den Kunden weiter in den Fokus zu stellen.“
Fraglos ergäben sich aus kundenorientierteren Versorgungsmodellen auch andere Vorzüge – etwa für die Umwelt. Könnte ein Kunde auf seiner Rechnung nachvollziehen, dass der SmartTV während der ungenutzten Zeiten, die das Gerät im StandyBy-Modus verbringt, durch den passiven Energieverbrauch auch bestimmte, ausgewiesene Kosten verursacht, ist der vielleicht eher geneigt, sein Gerät auch einmal vom Netz zu trennen.
Abseits eines möglichen, zukünftigen Prime Energy Dienstes gibt es bereits erste Lösungen, die Energievertrieben und Netzbetreibern attraktive Geschäftsmodelle rund um intelligentes Metering ermöglichen. So wie etwas das „Lean Metering“-Konzept des Dortmunter IoT-Spezialisten Lemonbeat.
Kunden entstehen dabei Mehrwerte durch die Verbindung intelligenter Stromzähler (so genannte „moderne Messeinrichtungen“) mit einem im Haus installierten Empfangsgerät, das die Verbrauchsdaten sekündlich erfasst und auf eine Analyse-Plattform weiterleitet. Diese ermöglicht sodann die Identifizierung einzelner Stromverbraucher im Haushalt. Auf Basis so hochgranularer Daten lassen sich die gestiegenen Anforderungen an Effizienz leichter erfüllen und ermöglichen darüber hinaus weitere Geschäftsmodelle, die beispielsweise direkt mit dem Kundenverhalten in Zusammenhang stehen.