Digitale Services: Energieversorger, macht endlich mehr aus eurem Strom!

Wir schreiben das Jahr 2018. Unsere Welt ist durchdigitalisiert. Überall gibt es digitale Services: Beim Onlinebanking, bei der Telekommunikation, in der Logistikbranche oder im Handel. Mietwagen, Taxi, Pizzalieferung, Zahnarzttermine: Alles organisieren wir per Smartphone. Wir sehen jederzeit unseren Kontostand, wissen wo unser Paket ist und werden sogar vor einem Stau gewarnt, noch bevor wir im Auto sitzen. Nur beim Strom, da ist alles anders. Da leben wir noch genau so wie vor fast 100 Jahren. Einmal im Jahr stapft jemand in den Keller und liest den Zählerstand ab. Ja hallo, geht’s noch?
Neulich habe ich auf eine wichtige Lieferung gewartet. Als besonderen Service teilte mir der Paketdienst eine Tracking-Nummer, mit der ich sogar die aktuelle Position des Lieferwagens live auf dem Smartphone mitverfolgen konnte. Als der gute Mann dann um die Ecke bog, stand ich zu seiner freudigen Überraschung bereits vor der Tür. Win-Win-Situation für beide. Szenenwechsel: Vor meinem Weg ins Büro nennt mir mein Smartphone die zu erwartende Fahrzeit und alternative Routen. Ein toller Service, hat er mir doch manchen Stau erspart. Und im Haushalt hilft mir ein Sprachassistent, Termine zu verwalten, Einkäufe zu erledigen oder meine Lieblingsmusik abzuspielen. Systeme zur Hausautomatisierung steuern Heizung, Fenster oder sogar Türen.
Nur wenn es um den Strom geht, bin ich aufgeschmissen. Im Keller hängt in einem von Spinnweben überzogenen Kasten eine kleine Metallbox an der Wand. In ihr dreht sich seit Jahr und Tag eine silberne Aluscheibe. „Ferraris Zähler“ nennt sich das. Ein elektromechanisches Messgerät für elektrische Energie. Ein Schneckengetriebe bewegt darin ein kleines Rollenzählwerk – in alten Autos findet man sowas heute manchmal noch als Kilometeranzeige im Tacho. Dort werden die Anzahl der Scheiben-Umdrehungen als Energie in Kilowattstunden anzeigt.
Jetzt mal ehrlich. Wie kann es sein, dass sämtliche Lebensbereiche in den letzten Jahren technologisch wahnsinnige Sprünge nach vorne gemacht haben? Telefon, Internet, Fernsehen, Streaming- und Lieferdienste, Taxi, Haussteuerung, etc. Nur beim Strom hat sich seit der Geburt meiner Oma offenbar nichts getan. Digitale Services? Fehlanzeige!
Schon lange ärgere ich mich, dass ich meinen Stromverbrauch nicht jederzeit überwachen kann. So könnte ich endlich Stromfresser identifizieren. Ich könnte auch monatlich den tatsächlichen Verbrauch zahlen und müsste nicht irgendwelche hochgerechneten Abschläge überweisen. Einmal nicht aufgepasst, droht zum Jahresende die böse Überraschung: Nachzahlen! Und dann immer dieser bekloppte Papierkram. Habe ich den Ablesetermin verpasst, kommt der Stromversorger mit einer Schätzung um die Ecke. Gerne auch mal zu seinem Vorteil.
Immer mehr Bundesbürger wünschen sich digitale Stromzähler
Wie kann es sein, dass in einer durchdigitalisierten Welt, das Produkt „Strom“ immer noch so angeboten wird, wie zu Edisons Zeiten? Bin ich da der Einzige, den das stört?
Offenbar nicht: Nach einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Digitalverbandes Bitkom hat mittlerweile jeder dritte Bundesbürger (36 Prozent) grundsätzlich Interesse an einem digitalen Messgerät, Umgangssprachlich „Smart Meter“ genannt. Bei den Jüngeren ist das Interesse mit 46 Prozent der 18- bis 29-Jährigen und 42 Prozent der 30- bis 49-Jährigen besonders hoch.
Will ich heute meinen Stromverbrauch genauer unter die Lupe nehmen, müsste ich an jeder einzelnen Steckdose ein Messgerät installieren. Damit die Messdaten dann noch zentral abrufbar sind, muss der Zwischenstecker zudem noch „smart“ sein, und mit dem Internet kommunizieren können. Sowas kostet pro Stück gerne mal um die 50 Euro. Für alle Geräte in der Wohnung kämen da Unsummen zusammen! Das lohnt sich schlichtweg nicht.
Dabei wäre das so praktisch. Ich wüsste nicht nur über meinen aktuellen Verbrauch bescheid, ich könnte zudem gewarnt werden, wenn ich mal wieder vergessen habe, den Herd abzuschalten oder das Licht im Abstellraum noch brennt.
Jeder dritte Bundesbürger hat grundsätzlich Interesse an einem digitalen Messgerät. Bei Jüngeren ist das Interesse noch höher. Quelle: Bitkom
Die Erfassung des Stromverbrauchs individueller Geräte ist auch ohne viele kleine Messgeräte möglich: Jedes Gerät in einem Haushalt hinterlässt eine Art „Fingerabdruck“ beim Stromverbrauch. Eine einzigartige Lastkurve, mit der sich die Art der Stromaufnahme eines Kühlschranks von der eines Wasserkochers von einem Backofen oder Fernseher oder Bügeleisen unterscheidet. Mit einem intelligenten Stromzähler lässt sich das messen!
Dafür müssten aber erstmal die ollen analogen Geräte im Keller verschwinden und durch digitale Modelle ersetzt werden. Für private Haushalte (man geht hier von einem Stromverbrauch unterhalb 6000 kWh/Jahr aus) nennt man die im Fachjargon „moderne Messeinheiten“, kurz „mME“. Diese Geräte können die Verbrauchsdaten über einen langen Zeitraum und in ganz kurzen Zeitabschnitten erfassen und speichern. Zusätzlich zeigen sie den aktuellen Verbrauchswert in digitaler Form auf einem kleinen Display an.
Jetzt könnte man denken, hey cool, gebt mir so einen Zähler und dann bin ich endlich im 21. Jahrundert angekommen. Aber so einfach ist das leider nicht. Selbst bei den meisten neuen digitalen Zählern für Privatkunden muss immer noch jemand in den Keller stapfen und die Verbrauchsdaten ablesen. Bei einem Modell muss das Gerät sogar mit einer Taschenlampe (!!!einself!) angeblinkt werden, damit es die Zählerstände ausspuckt. Äußerlich scheint nur die Aluminium-Scheibe einem Display gewichen. Wer zum Tesla denkt sich das denn sowas aus?
Dabei wäre es doch gar nicht so schwer, die Branche müsste nur mal ein bisschen über den eigenen Tellerrand schauen. Eine einfache Lösung: Man stattet die Geräte mit Funktechnologien aus. So könnten die ihre Daten jederzeit auf ein Empfangsgerät übertragen. Sei es nun auf ein Ablesegerät des Stromversorgers oder aber ein kleines Daten sammelndes Gateway in meiner Wohnung. Das hätte ich dann mit meinem Internetrouter verbunden und könnte so jederzeit von meinem Smartphone aus über eine App meine aktuelle Verbrauchsdaten abrufen.
Lean Metering Demo. Quelle: Lemonbeat GmbH
Und nicht nur das: Mit einer intelligenten Software dahinter, könnte mir diese jederzeit den individuellen Stromverbrauch anzeigen. Sie könnte mich warnen, wenn sich Geräte plötzlich auffällig verhalten, etwa wenn irgendetwas mit ihnen nicht in Ordnung ist oder ich schlicht vergessen habe, sie auszuschalten. Solch digitale Services wäre doch mal ein echtes Plus zu den sonst immer gleichen sich im Preis kaum noch zu unterscheidenden Stromtarifen. Wenn die Stromversorger nichts machen, werden ihnen irgendwann andere Unternehmen diese datenbasierten Geschäftsmodelle vor der Nase wegschnappen. Die ersten Anbieter stehen bereits in den Startlöchern…
Also, liebe Energieversorger, macht doch endlich mehr aus eurem Strom!